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18/4

Von China wissen wir nicht wirklich viel – ich nehme an, dass nur wenige unter Ihnen das Land ausführlich bereist oder gar dort gelebt haben. Was bleibt uns also, wenn wir uns bilden wollen: das Fernsehen, das zur Zeit nicht gerade Erfreuliches von dort berichtet. Dabei ist der Kunstschnee zur Winterolympiade noch eine lässliche Sünde im Verhältnis zur stetig steigenden Unterdrückung der Meinungs- und Pressefreiheit. Dann wäre da noch die Literatur, so sie denn zu uns kommt. Vielleicht haben auch Sie vor vielen Jahren die Richter-Di-Romane von Robert van Gulik gelesen, die ein faszinierendes Bild einer sehr lange zurück liegenden Zeit im „alten China“ und insbesondere ihres Justizsystems vermitteln und die ich jedem warm ans Herz lege, so man sie irgendwo noch ergattern kann. Richter Di war jedenfalls sehr um Wahrheit und Gerechtigkeit bemüht, und umso gespannter war ich also auf 18/4, wo, um das vorauszuschicken, die handelnden Polizisten auch sehr darum ringen, etwas Ähnliches wie rechtsstaatliche Grundsätze hochzuhalten.

Nun kann man vermuten, dass der Roman der chinesischen Zensur anheimgefallen wäre, würde er zu offensichtliche Zweifel am Funktionieren der Ermittlungsbehörden schüren. Welche Gratwanderung Zhou Haohui beim Schreiben hinter sich gebracht hat, werden wir sicher nicht erfahren, aber jedenfalls hat er sie mit Bravour gemeistert.

Kommissar Zheng verfolgt einen Mörder, der seine Botschaften unter anderem aus dem Internet verbreitet, und schon bei diesen Ermittlungen zeigt sich, dass ein eher diktatorisches System es der Polizei doch erheblich erleichtert, wenn man hinter IP-Adressen und Standorten her ist. Leider ist Zhengs Suche nach kurzer Zeit beendet, denn er fällt eben dieser Person schon auf Seite 18 zum Opfer, und gefunden wird seine Leiche von Hauptmann Pei, der am Ort des Geschehens eigentlich nichts zu suchen hat, weil sein Zuständigkeitsbereich ganz woanders liegt. Aber er hatte sich von Zheng Informationen zu einem lange zurückliegenden Fall erhofft, der damals unter der Nummer 18/4 geführt und inzwischen archiviert wurde, da man die Hoffnung, den Sachverhalt aufklären zu können, aufgegeben hatte.

Zhengs Tod aber zwingt die Polizei von Chengdu nun, unter der Führung von Hauptmann Han, den Faden wieder aufzunehmen und eine neue Ermittlungsgruppe zu gründen, in der er an der Mitarbeit von Pei nicht vorbeikommt. Denn auch Pei hat eine Nachricht von der Art bekommen, wie man sie jetzt am Tatort findet, die vom gleichen Täter wie damals zu stammen scheint. Er nennt sich Eumenides nach den griechischen Rachegöttinen und hat sich Gerechtigkeit auf seine Fahne geschrieben. Die ist allerdings von der Art, wie man sie auch in amerikanischen Filmen und Büchern findet: Wo der Staat versagt, muss der Einzelne die böse Tat ahnden und das Urteil auch gleich vollstrecken. Aber auch im chinesischen System sind zumindest in diesem Roman Recht und Gerechtigkeit zwar nicht unbedingt das Gleiche, aber man kann nicht zulassen, dass ein einsamer Rächer die Arbeit der Polizei übernimmt und sie dabei noch dazu sehr unfähig aussehen lässt.

Und auch wenn der Plot alles andere als neu ist: Zhou Haohui (wie immer man den Namen aussprechen mag) gelingt es meisterhaft, die unglaublichsten Szenerien schlüssig aufzubauen und keine losen Enden übrig zu lassen, und das, wo es doch dem mitteleuropäischen Leser schon einiges abverlangt, angesichts der eines russischen Romans würdigen Personenzahl nebst ihrer schwierigen Namen nicht den Faden zu verlieren. Und dabei, wir man bei der Lektüre merkt, noch den ein oder anderen Zweifel an der ordnungsgemäßen Funktion des chinesischen „Rechtsstaats“ zu wecken.

18/4 ist der erste Band einer Trilogie, und insofern sei die Warnung ausgesprochen, dass es Ihnen schwer fallen könnte, geduldig auf das Erscheinen der Fortsetzung zu warten. Aber auch im echten Leben entkommt ab und zu mal einer – bis sie ihn dann am Ende ja meistens kriegen.

 

Thriller, Die 18/4-Serie 1
Einband: Paperback
EAN: 9783453439832
13,00 €inkl. MwSt.

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