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Die Alte

Es ist unverzeihlich, dass ich Ihnen dieses Buch, das schon seit Monaten in unserem Laden liegt, erst jetzt anpreise: KAUFEN SIE DIESES BUCH! SOFORT!

Unverzeihlich vor allem, weil „Der Lumpenadvokat“, eines der früheren Werke von Madame Cayre, eines meiner Lieblingsbücher ist, aber zur Zeit leider nicht lieferbar. Cayre ist Strafverteidigerin in Paris, Pflichtverteidigerin, muß man dazu sagen, und sie kennt sich auf das Beste aus in den Katakomben des Strafrechts. Das kann ich beurteilen, denn wir teilen inzwischen viele Jahrzehnte in dieser Profession, nur leider kann sie die Abgründe des Strafrechts auf das Wunderbarste beschreiben, während ich leider unfähig bin, das Panoptikum aus mehr oder weniger unbegabten Drogenhändlern, Polizisten und Richtern mit dem gleichen Zynismus, Humor und Mut der Verzweiflung zu schildern, das in Frankreich ein wenig pittoresker zu sein scheint als bei uns, im Grunde aber leider höchst vergleichbar ist.

Cayre kennt sich vor allem aus im Kosmos nordafrikanischer Haschischhändler, die aus nachvollziehbaren historischen Gründen in Frankreich natürlich erheblich häufiger anzutreffen sind als bei uns. Im „Lumpenadvokat“ ist der Held ein schlecht bezahlter, von Skrupeln nicht geplagter Anwalt, der sich bereit erklärt, mit seinem Mandanten den Platz in der Hauptverhandlung zu tauschen, in der festen Überzeugung, man werde ihn natürlich frei lassen, wenn dem Richter der Irrtum klar wird. Leider erlag er da einem Irrtum und lernt ausführlich die andere Seite der Medaille kennen.

„Die Alte“ dagegen ist Dolmetscherin für Arabisch, früh verwitwet und aus einer höchst gemischten Familie stammen: Vater Frankotunesier, Mutter Jüdin, die das KZ überlebt hat, und die aufwuchs in einem Anwesen direkt unter der Autobahn, das der Vater als Zentrum höchst zweifelhafter, aber lukrativer Geschäfte nutzte. Leider verprasste die Mutter nach dem Tod des Vaters das Familienvermögen recht schnell, so dass die zunächst gar nicht so alte „Alte“ ihre zwei Töchter mühsam mit dem teils schwarz gezahlten Lohn als Polizei- und Gerichtsdolmetscherin durchbringen muss. Zudem liegt die Mutter nun in einem völlig überteuerten Pflegeheim, das wahrscheinlich sehr realitätsnah beschrieben wird, und unsere Heldin weiß nicht mehr, wie sie die absurden monatlichen Summen aufbringen kann. Aber eine glückliche Fügung lässt ihr beim Übersetzen einer Telefonüberwachung die rettende Idee kommen: Ausgerechnet die Söhne der marokkanischen Pflegerin, die als einzige ein Lichtblick in dem abscheulichen Pflegeheim ist, sind mit einer Tonne Haschisch auf dem Weg nach Paris und sollen bei Ankunft verhaftet werden. Was liegt also näher, als die Mutter zu informieren, auf dass sie ihren Söhnen nahelegt, die Ware auf der Autobahn irgendwo loszuwerden. Was auch klappt – allerdings weiß jetzt keiner, wo der inzwischen verhaftete Spross die ganzen Pakete losgeworden ist. Wir praktisch, dass die „Alte“ nun von dem Polizisten, mit dem sie ein sporadisches Verhältnis pflegt, erfährt, dass ausgemusterte Drogenspürhunde ins Heim kommen und dort eingeschläfert werden, wenn sich keiner findet, der sie adoptiert….

Mehr zu erzählen wäre untunlich, denn Sie wollen das Buch ja lesen, hoffe ich.

Wie gesagt: Vergessen Sie Schirach, der Mann hat keine Ahnung, lesen Sie Cayre, wenn Sie wissen wollen, was wirklich los ist da draußen in der (Unter-)Welt des Strafrechts! Aber Vorsicht: sollten Sie es mit der political correctness halten, könnte Sie dieses Buch erheblich verstören.

Ariadne 1240
Einband: gebundenes Buch
EAN: 9783867542401
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