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Buchtipps

Was heißt es heute, in Europa Kinder zu haben und das nicht aus einem festen Anstellungsverhältnis heraus, sondern als freie Künstlerin? Von dieser Frage und den Ängsten und Unsicherheiten, die ein Kind in einer relativ prekären Lage erzeugen kann, handelt Olga Ravns 459 Seiten starkes Buch „Meine Arbeit“ (@maerzverlag). In Prosa, Gedichten und Tagebucheinträgen dokumentiert sie die ganze Absurdität, das innere Chaos und die Orientierungslosigkeit, welche mit der Geburt eines Kindes einhergehen kann.

Gerade ist der frühe Text „Herr Kiyak dachte, jetzt fängt der schöne Teil des Lebens an“ der unnachahmlichen Mely Kayak erneut im Hanser Verlag erschienen. Von der Autorin durchgesehen und überarbeitet. Das ist schön, ist es doch ein Buch, das, wie ihr späterer Erfolgstitel „Frausein“ auch, von Verlusten, Abschied und dem kiyak‘schen Umgang mit der Verzweiflung und der Angst handelt. Das ist hochempathisch, unkopierbar komisch (im guten Sinne) und mutmachend.

100 Jahre Institut für Sozialforschung | 100 Jahre Kritische Theorie. 2024 jährt sich die Gründung des IfS zum hundertsten Mal. Pünktlich erscheint nun Philip Lenhards große Geschichte dieses besonderen Orts der Gesellschaftsforschung und -kritik. Lenhard erzählt darin von den Anfängen im Schatten des ersten Weltkriegs, vom amerikanischen Exil des Instituts, von großen Denkerinnen und Denkern und noch größeren Ideen.

Der Debutroman „Homeless“ der Frankfurter Autorin Eske Hicken ist urban literature fürs Heute. Im Zentrum stehen vier Personen und ihr Leben in der nordamerikanischen Stadt Portland. Portland ist speziell, ist es auf der einen Seite eine Hochburg des modernen Hipstertums und alternativer Lebensformen, auf der andere Seite hat die Stadt, wie so viele andere US-amerikanische Städte auch, mit grassierender Armut, Wohnungsnot und Obdachlosigkeit zu kämpfen. Eske Hickens Roman portraitiert diese zwei Milieus und wie sie sich begegnen.

Man kann das neue Buch der tollen Stefanie Sargnagel auf zwei Arten lesen. Bei der ersten interessiert man sich tatsächlich für die amerikanische Einöde, leere Straßen, volle Supermärkte und all die anderen Klischees, die die Autorin auch auf ihrem mehrwöchigen Ausflug nach Grinnell/Iowa findet. Dann schmunzelt man viel und lässt sich auf höchstem Niveau unterhalten von einer aufmerksamen Beobachterin, die es schafft hochkomisch, aber niemals herablassend zu beschreiben, was das amerikanische Outback ausmacht.

Pier Paolo Pasolini: Ein Unfall im Kosmos. 112 Sonette, zweisprachige Ausgabe, aus dem Italienischen übertragen von Theresia Prammer, Wagenbach Verlag. 

Das Wichtigste zuerst: Dinçer Güçyeters Buch wurde völlig zu Recht ausgezeichnet mit dem Preis der Leipziger Buchmesse. ***

Thesen zur Zukunft des politischen Konflikts: Space will be the Place

Der eine, Steirer im Berliner Exil, Wirt, Weinprofi und Ober-Zampano in der legendären @bar_freundschaft, der andere, Rapper, Weinlehrling und Vokabeltrainer mit Interesse für volle Gläser. Mit ihrem Podcast Terroir und Adiletten sind sie in den digitalen Endgeräten und Ohren der Generation X, Y und Z und parlieren über Wein, befragen Winzer und erklären mehr oder weniger Lebensnotwendiges. Im Buch machen sie das auch. Übersichtlich, ohne elitären Anspruch und hochunterhaltsam. Klare Kaufempfehlung für Leute von heute.

Rotzig, direkt und unheimlich unterhaltsam erzählt Maria Pourchet in ihrem neuen Buch von einem Ehebruch, der es in sich hat. Sie, verheiratete Mutter, Dozentin, unzufrieden und gefangen in den Kompromissen der urbanen akademischen Mittelklasse, fühlt eine ungewohnt starke Anziehung zu ihm, einem überbezahlten Bankmitarbeiter, Zyniker, deprimiert und wohl nur wegen seines Hundes noch nicht tot. Beide eint: Sie sind still und leise auf der Suche nach etwas, dass eine Veränderung in ihrem Leben herbeiführt. Es ist dann sie, die das Heft in die Hand nimmt.