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Zugvögel

In meinem Garten auf dem Land leben unzählige Spatzen. Unzählige deshalb, weil sie nie lange genug an einer Stelle bleiben, um sie zählen zu können, aber mehr als 30 sind es jedenfalls. Dann sind da noch Meisen und Amseln, ein Ringeltaubenpärchen, Schwalben natürlich, Rotschwänze und im Winter Rotkehlchen und ein Zaunkönig. Vielleicht liegt es am fortschreitenden Alter, das mich ihre Existenz so beruhigt in Zeiten, in denen jeden Tag ebenso unzählige Spezies aussterben und die Welt auch sonst kein besonders beruhigender Ort mehr ist. Sie fressen mir die Haare vom Kopf, aber ich bilde mir ein, so wenigstens einen kleinen Beitrag zu leisten und mich ihrem Untergang entgegenzustemmen.

Um Vögel geht es auch im Buch von Charlotte McConaghy, kein Wunder, heißt es doch Zugvögel. Aber nicht nur um Vögel, vor allem auch um das Meer. Franny ist halb irisch, halb australisch, eigentlich weiß sie es nicht so genau, weil ihre Familie verstreut und verschwunden ist, ihren Vater kennt sie nicht, das Meer ist ihre Heimat, scheint es, die kalte See, in der sie sogar schwimmt, wenn sich sonst keiner in das eisige Wasser getrauen würde. Einen Selkie nennt man sie deshalb, halb Mensch, halb Meerwesen, nach einer alten keltischen Legende, die davon erzählt, dass eine Frau aus dem Meer an Land kommt, es dort aber nicht aushält, und zurück ins Wasser geht, manchmal, um sich in eine Robbe zu verwandeln, die dann ausgerechnet von ihrem Mann, einem Fischer, getötet wird.

Franny wird, zurück in Irland, Putzfrau an einer Universität in Galway, und dort trifft sie Niall, oder er sie. Er forscht über die Möglichkeiten, Vögel vor dem Aussterben zu retten, denn wir haben es hier mit einer Dystopie zu tun, einem Geschehen in einer Zeit, in der nahezu alle Wildtiere ausgerottet sind. Er forscht vor allem über Seeschwalben, tapfere kleine Vögel, die die längste Strecke zurücklegen, die Zugvögel bewältigen – von Grönland, der Arktis, bis in die Antarktis und zurück, immer den Fischschwärmen hinterher. Aber Fische gibt es auch kaum noch, die sie auf ihrem langen Weg am Leben halten könnten.

Selkies fällt es schwer, an Land zu bleiben, und Franny fällt es schwer, irgendwo zu bleiben, nicht einmal bei Niall, erst spät werden wir erfahren, warum. Wir treffen sie zuerst in Grönland, wo es ihr gelingt, drei Seeschwalben zu beringen und mit einem Sender zu versehen, ihnen will sie folgen, und sie findet tatsächlich ein Schiff, das „Rabe“ heißt, was ein Zeichen für sie ist, denn als Kind fütterte sie einen Schwarm Krähen, die ihr aus Dankbarkeit Geschenke brachten, wie Rabenvögel es manchmal tun.  Und ihre Mutter, die es auch nie an einem Ort hielt, hat ihr mit auf den Weg gegeben, dass man auf die Zeichen achten muß.

Die Besatzung des „Raben“ ist, wie das Schiff, ein Anachronismus, denn Fischer braucht es nicht mehr in einer Zeit ohne Fische, und sie verspricht dem Captain, wenn er sie denn zu den Seeschwalben bringe, ganz in den Süden, würden die ihm die Fischschwärme zeigen, auf dass er noch einmal den Goldenen Fang aus dem Wasser ziehen könne. Und so stechen sie in See, aber inzwischen wird – und das ist tatsächlich eine Utopie – der Fischfang verboten, ihre ganze Reise ist illegal, aber ohnehin flieht jeder auf diesem Schiff vor einer Geschichte…

Kein fröhliches Buch, wie Sie sich denken können, aber eines in der Tradition der großen irischen Märchen, Sagen und Gedichte. Und wie Franny sollten sie dazu „Raglan Road“ anhören, möglichst in der Version von Van Morrison. Und Whiskey trinken, Sie werden ihn brauchen.

Roman
Einband: gebundenes Buch
EAN: 9783103974706
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