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Zusammenkunft

Es gibt viele Bücher von jungen schwarzen Frauen in der letzten Zeit, und leicht ketzerisch muß man sich fragen, ob diese Verlagspolitik vielleicht mehr dem schlechten Gewissen alter weißer Männer geschuldet ist als der Qualität der Literatur. Das könnte natürlich egal sein, oder jedenfalls begrüßenswert, weil früher wahrscheinlich viele Manuskripte in Lektoratsschubladen verschwunden sind, die es verdient hätten, publiziert zu werden, man aber dachte, Bücher von Frauen – egal woher diese kommen und welche Hautfarbe sie haben – hätten nicht wirklich einen Markt außerhalb des romantischen Strandliegestuhl-Genres.

Das hat sich nun glücklicherweise geändert, und „Zusammenkunft“ von Natasha Brown hat es wirklich verdient, gelesen zu werden. Ein dünnes Bändchen ist das, nur 113 Seiten, und die meisten davon sind nicht einmal ganz gefüllt. Sie brauchen also nur wenige Stunden, einen ruhigen Abend, um es in einem Zug durchzulesen.

„Es ist eine Geschichte. Sie handelt von Herausforderungen. Von harter Arbeit. Sich am Riemen reißen. Hochgerollten Hemdsärmeln. Sie handelt davon, wie man sich zwingt. Hoch. Bewältigung, Überwindung et cetera.“

Damit ist schon alles gesagt, worum es hier geht. Wie sich in der englischen Klassengesellschaft eine junge schwarze Frau aus der unteren Mittelschicht nach oben arbeitet, was das kostet. Wie leicht es den Männern fällt, sich in dieser Arbeitswelt zurechtzufinden, am Abend mitleidheischend ihre Erschöpfung vor sich herzutragen, damit ihre fehlende Empathie zu überspielen, während Frauen sich dafür entscheiden müssen, kein Opfer mehr zu sein.

Es wird einem manchmal ganz kalt bei der Lektüre, man ist dankbar, diesen Kampf nicht mehr führen zu müssen, keine Angst haben zu müssen vor einem Chef, einem Meeting, dem Versagen.  Um die Beförderung zu bangen, genug zu verdienen, sich in einer überteuerten Stadt eine Wohnung leisten zu können. Angst vor diesen Anweisungen: „hör zu, sei still, mach dies, unterlass das. Wann hört das auf? Und wohin hat mich das gebracht?“

Fragen über Fragen, die sich vor allem Frauen stellen, mit denen sich aber auch Männer gerne einmal beschäftigen können.

Vergessen Sie also Frau Gorman und ihren ganzen pathetischen Kitsch – wer eine leise Ahnung davon bekommen möchte, wie es sich anfühlt, eine schwarze Frau in einer weißen, von alten Männern  geprägten Gesellschaft wie der englischen zu sein, den Traum vom Aufstieg geträumt zu haben, dem Glauben gefolgt zu sein, wer sich denn nur genug anstrenge, werde schon da oben ankommen, wo man gleichberechtigt sei und natürlich zu erfahren, dass dies alles falsche Versprechungen sind, der lese Natasha Brown.

Der Beginn der Erkenntnis ist ja zu wissen, dass man nichts weiß. Dass man, wenn man sich als Angehöriger einer halbintellektuellen weißen Mittelschicht einer Black-Lives-Matter-Demo anschließt, vielleicht auch nur wohlfeilen imperialistischen und postkolonialen Gutmenschen-Anbiederungs-Scheiß auslebt. Dass der eigentliche Konflikt eher im Klassenbewußtsein von Gesellschaften wie der britischen und französischen liegt und es in Deutschland nur ein ganz klein wenig besser zu sein scheint.

Fragen über Fragen, die so ein kleines Buch auslöst und die zur Zeit in Anbetracht des Beweises, dass nach wie vor weiße männliche Gewalt wie die eines Putin die Welt beherrscht und vor nichts Halt macht, einen Moment lang obsolet scheinen – aber nur einen Moment lang.

 

Roman
Einband: gebundenes Buch
EAN: 9783518430460
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